28.5.15, Uraufführung von "A1 – Ein Stück Schweizer Strasse", Zürich ,Schauspielhaus (Pfauen).

Eine Ode an die Wunde

Die Popgeschichte kennt viele Platten, die Trennungen verarbeiten. Man spricht in solchen Fällen vom «Break-up-Album». Aus den Interviews entnimmt man dann Tiefschürfendes und die Diagnose, der so und so alte Sänger sei ­erwachsen geworden – ein verlässliches Anzeichen für Langeweile. Björk wird dieses Jahr 50, und auf «Vulnicura» singt sie über die Trennung von ihrem Mann, dem Künstler Matthew Barney. In Gesprächen soll sie spontan weinen. Doch wer jetzt davonrennt, verpasst einen aufregenden Moment in Björks Werk.

Der zentrale Song steht an vierter Stelle von insgesamt neun Titeln, dauert zehn Minuten und heisst «Black Lake». Im Booklet steht unter dem Titel: «Zwei Monate nach der Trennung.» Kein Song kommt dem «Break-up» näher. Der schwarze See ist der Abgrund, den Björk zu durchschreiten beginnt. Sie singt ­Zeilen, die privat erscheinen und jeder nachvollziehen kann, der die Kunst von Björk und Barney auch nur von weitem kennt: «Du fürchtest meine unbegrenzten Gefühle, und mich langweilen deine apokalyptischen Obsessionen.» Und nachdem sie «ewigen Schmerz» und «Horror» in ihr Leben kriechen sieht, verweilen die Streicher 35 Sekunden auf derselben Note. Der Song kommt zum Stillstand. Es klingt wie die Gewissheit, dass dieser Schmerz nie aufhören wird.

Ein Archiv der Liebe

Björk ist nicht als kalter Fisch berühmt, die Isländerin war immer nah am Wasser gebaut und eine Freundin der ausgestellten Emotion. Ihr Gesang hielt das Atmen stets hörbar, auch das Japsen. Die Vokale zerdehnte sie schon bei den ­Sugarcubes expressiv, ihrer ersten Band ab Mitte der Achtzigerjahre. Und ihr «R» rollte auch im britischen, später im New Yorker Exil beharrlich weiter. Bereits 1997 klangen auf dem Album «Homogenic» ziemlich private Angelegenheiten an, bei Lars von Trier im Film «Dancer in the Dark» (2000) sah die nun als Schauspielerin verblüffende Björk ­andauernd verweint aus.

Und wenn sich ihre Liebe streckt, fasst sie damit mindestens das Universum an wie zuletzt auf dem Album «Biophilia» (2011) und der fantastischen Tour, die etwa mit harter Elektronik, aber auch Steeldrums und einem Damen­chor die Verschmelzung von Mensch und Maschine viel zeitgenössischer inszenierte als die Retroauftritte von Kraftwerk, die nur das Gefühl wegrechnen und dies für Avantgarde halten.

Doch selbst wenn man Björks ­extremen Emotionalismus kennt, legt «Vulnicura», am Dienstag nach einem Leak vorab veröffentlicht, eins drauf. Im Song «History of Touches» wacht die Sängerin auf neben dem Mann, sie ahnt das nahende Ende und in diesem Moment verdichtet sich jede Berührung, jeder «Fick, den wir je hatten» zu einem Archiv. «Three months before» sei das gewesen. Mit dieser erzählenden Geste unterscheidet sich Björk von den meisten Trennungszeugnissen im Pop, welche die reine Gegenwart bevorzugen. Es ist eine Geste, die im Albumtitel schillert. «Vulnicura» latinisiert vulnus und cura zu einem neuen Wort, das die meisten mit «Heilung der Wunde» über­setzen. Doch cura ist auch die mehrdeutigere «Sorge» oder «Pflege». Die Pflege bedeutet auf «Vulnicura» auch: die Wunde offen zu halten. Um den Schmerz nicht gleich zu verdrängen. So könnte es gelingen, dass er nicht in verkleideter Form wiederkehrt. Pop und Psycho­analyse kommen sich hier sehr nahe.

Dialog mit dem Produzenten

Grandios wird «Vulnicura» aber erst dadurch, dass es den distanziert erzählten und gleichwohl heiss gefühlten Szenen einer Scheidung einen weiteren Entwurf hinzufügen kann. Und zwar in der Musik: Alle Songs können als ein Be­ziehungs­modell gehört werden. In der Kunst entwickelt sich ein Dialog von zwei unterschiedlichen Stimmen, der in die Zukunft zeigt. Björk hat die Streicher selbst arrangiert, oder: von Hand gestrickt, alles liegt recht eng an ihrer Singstimme. Das klingt zumindest eigen.

Doch mitproduziert hat das Album der Shootingstar Arca, wie sich Alejandro Ghersi aus Venezuela nennt. Er hat für Kanye West gearbeitet und für FKA Twigs, doch sein Soloalbum enttäuschte. Bei Björk hat er ungeheure Freiheiten für fremde Sounds und erratische Bässe. Das ist weit weg vom Modell «Superstar holt sich Superproduzent und lässt sich musikalisch generalüberholen». Björk klingt nach Björk, Arca nach Arca, und die gemeinsame Musik überschreitet das Trennungsthema der Texte. Es hört ­etwas auf. In der Musik beginnt es neu, ohne den Schmerz zu verleugnen.

Björk: «Vulnicura». Auf iTunes erhältlich, ab März auf allen gängigen Kanälen. (Tages-Anzeiger)

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